Neujahrsspaziergang.
Sie liefen zwischen zwei
Feldern entlang. Er hatte einen großen weißen Regenschirm
mitgebracht, der sie vor dem penetranten Regenfäden schütze. Der
Weg war matschig und sie mussten so manche Pfütze umrunden. Das neue
Jahr hatte kein besseres Wetter gebracht, schon seit Mitte Dezember
war es so warm geworden, dass mit weißer Weihnacht oder einem
verschneiten Neujahr niemand mehr gerechnet hätte. Doch dieses
ungemütliche Wetter verhinderte nicht, dass eine seltsam aufgeregte,
zum zerreißen angespannte Stimmung zwischen den beiden
Spaziergängern knisterte.
Er hatte sie doch
tatsächlich angerufen. Am Silvesterabend. Nicht, dass sie nicht
damit gerechnet hätte, dass er ihr einen guten Rutsch oder nach
Mitternacht ein frohes neues Jahr hätte wünschen wollen. Aber das
er sich wirklich an sein Versprechen erinnern würde und dass er
diese Aussage, die er gemacht hatte, überhaupt so ernst genommen
hatte, damit hätte sie nicht gerechnet. Vor einem halben Jahr war er
zu viele Kilometer zum Studium weggezogen, als dass man sich in den
unregelmäßigen Abständen hätte sehen können, wie sie es zuvor
gemacht hatten. Als sie sich das letzte Mal sahen, hatte er gesagt:
„Ich schenke dir den ersten Spaziergang im Neuen Jahr mit mir.“
Ein seltsames und albernes Versprechen, wenn auch irgendwie
besonders. So besonders, dass sie keinem davon erzählt hatte. Sie
hatte ja eh nicht damit gerechnet, dass er diesen Satz ernst nehmen
würde.
Aber gestern Abend rief
er an, wünschte ihr einen guten Rutsch und fragte sie, ob sie sich
noch an ihre letzte Begegnung erinnern könnte. Sie war völlig
verwirrt und aufgewühlt ins neue Jahr gestartet, denn er hatte sich
mit ihr zum Neujahrsspaziergang am nächsten Tag verabredet und
hatte pünktlich vor ihrer Haustür gestanden.
„Ich hatte irgendwie
gehofft, dass wir durch eine idyllische Schneelandschaft laufen
würden.“, sagte er nach dem sie eine Weile lang schweigend, aber
auf Grund des Regens und des Regenschirms dicht beieinander,
nebeneinander hergegangen waren. „Tja, da hast du wohl was Falsches
bestellt.“, versuchte sie zu witzeln und merkte, dass es
ausgesprochen nicht lustiger klang, als in ihrem Kopf. Er lachte
trotzdem leise und sagte: „Ich habe mein Bestes gegeben.“ Sie
liefen weiter, konnten an dem wenigen Gesprächsfetzen nicht
anknüpfen. Sie merkte, wie sich in ihrem Herzen eine trübe Stimmung
ausbreitete. Nach der ganzen Euphorie des Anrufs am vorangegangen
Abend merkte sie, wie alle ihre Erwartungen und all die Freude
langsam verpuffte. Aber was hatte sie denn erwartet? Romantik? Ein
ungezwungenes Wiedersehen? Eine besondere Nachricht? Er lief neben
ihr her, sein Blick war auf die nasse Landschaft gerichtet. Als er
plötzlich stehenblieb, kam sie fast ins Stolpern, so unerwartet
brach er den schweigsamen Trott ab und wendete sich ihr zu. „Weißt
du,“ fing er an und sah auf ihre Stirn. „Ich hatte gehofft, das
Schnee liegt. Ich hatte gehofft, dass wir genauso fröhlich und
unverkrampft miteinander reden können wie früher.“ Ihre Blicke
trafen sich kurz, doch sie hielt es nicht lange aus, zu sehr fühlte
sie eine unbeschreibliche Stimmung zwischen Anklage, Enttäuschung
und Aufregung. „Aber irgendwie geht das nicht.“ Sie fasste kurz
Mut und fragte: „Weißt du woran das liegt?“ „Ja,“ antwortete
er überraschend schnell. Nun blieb ihr vor Erstaunen und Neugier
nichts anderes übrig, als ihm direkt in die Augen zu schauen. „Ich
habe mich so sehr darauf gefreut, dich endlich wieder zu sehen. Schon
seit einem halben Jahr freue ich mich auf Neujahr. So oft habe ich
mir vorgestellt wie wir uns heute treffen und miteinander hier lang
laufen. Und jetzt merke ich, dass ich eines dabei vergessen habe.“
Sie sah ihn fragend an. Er schaute über ihre Schulter hinweg in die
Ferne und sie konnte sehen, wie er nach den richtigen Worten suchte.
Er holte tief Luft und sagte leise: „Ich.. ich habe dabei nicht
gewusst, wie sehr ich dich vermisse. Und wie unsagbar schön es ist,
neben dir zu sein. Und wie sprachlos du mich machen kannst. Und wie
schlimm es ist, so weit weg von dir zu sein. Und dass ich viel lieber
immer und immer und immer mit dir durch den Regen laufen würde, auch
wenn wir kein Wort sagen würden.“ Eine wohlige Wärme durchfloss
ihren Körper und spülte all die Betrübnis fort, die sich in ihrem
Herz gesammelt hatte und sie merkte, wie ihre Wangen rot und heiß
wurden. „Mir war nichts wichtiger, als den ersten Tag diesen neuen
Jahres mit dir zu teilen.“, schloss er noch leiser. Sie sah ihn mit
großen Augen an. Ihr Herz fühlte sich unendlich groß an und eine
Millisekunde wusste sie nicht was sie tun sollte. Dann, sehr
plötzlich, schlang sie ihre Arme um ihn, drückte ihn an sich. Einen
Moment stand er nur ganz still da ohne sich zu bewegen, dann legte er
den Arm, der nicht den Regenschirm festhielt, um sie und erwiederte
die Umarmung. „Ich habe dich auch vermisst. So sehr.“, flüsterte
sie in seine Jacke unter dem weißen Regenschirm in der verregneten
Landschaft stehend.
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