Was machst du eigentlich gerade so?
Manchmal
wünschte ich, ich hätte etwas vernünftiges gelernt. So etwas, was
man antworten kann, wenn man gefragt wird: „Was willst du denn mal
werden, Kind?“ Arzt oder Rechtsanwältin oder Krankenschwester oder
wenigstens Lehrer. All das habe ich nicht gelernt, aus gutem Grund.
Ich ertrage es nicht mit anzusehen, wie sich eine Nadel im Fleisch
versenkt, noch nicht mal, wenn mir selbst Blut abgenommen wird.
Grundsätzlich bin ich reichlich überfordert, wenn es Menschen
gesundheitlich nicht gut geht – ich kann ihnen ja auch nicht
helfen. All der Juristikkram reizt mich eigentlich überhaupt nicht.
Naja und Lehrer wollt ich auch nicht werden, weil mir meine Zeit zu
schade war, um vor Heranwachesenden zu stehen und sie davon zu
überzeugen, dass Fontane ein ganz klasse Typ war, während sie unter
dem Tisch WhatsApp-Nachrichten schreiben und sich für alles andere
mehr interessieren, als für Fontane (den ich wirklich sehr toll
finde). Natürlich bleiben dann noch unzählbar viele andere Berufe
übrig, die ich hätte erlernen können. Das habe ich aber nicht
getan. Und während ich auf Lust und Laune studierte und nun alle
möglichen anderen Dinge tue, lerne ich viel vernünftiges. Ich lerne
das Leben kennen. Und Menschen. Und das Leben der Menschen. Ich höre
zu, mit Kopf und Herz. Ich frage nach, denke nach, bin einfach ich in
meinem Leben. Und das ist eigentlich ziemlich großartig.
Nur
manchmal hätte ich gerne eine zufriedenstellende Antwort für die
Fragenden, die fragen: „Was machst du eigentlich gerade so?“
Vielleicht sollte ich beim nächsten mal antworten: „Ich bin
Ärztin.“ Das würde zwar Irritation hervorrufen, aber wäre
sicherlich auch sehr amüsant. Und in dem kleinen Moment der
Verwirrung würde mir dann vielleicht ein Themenwechsel einfallen. Es
macht mir nichts aus, Menschen davon zu erzählen, was ich derzeit so
tue, wenn es nicht immer so große Fragezeichen in ihren Gesichtern
auslösen würde, die sich in mein Hirn einbrennen und mich selbst
wieder ins fragen bringen, obwohl ich doch eigentlich weiß, warum
ich was tue und warum manches nicht und warum mein Leben so
funktioniert, wie es das im Moment tut. Menschen fragen und wollen
ehrliche Antworten, aber bitte nur so, dass man die Antwort
problemlos abspeichern kann und beim nächsten Wiedersehen sagen
kann: „Was macht die Ärzterei?“ oder „Lehrer zu sein, stelle
ich mir heutzutage ziemlich taff vor.“ und nicht immer wieder auf
die Frage zurückzukommen müssen: „Was machst du jetzt eigentlich
gerade so?“ Wie sehr sich doch unsere Leben über und wir uns mit
unseren erlernten Berufen definieren. Fände ich vermutlich völlig
normal, wenn man mit Germanistik einen Beruf erlernt hätte, der
nicht jeden (ja sogar den Typen vom Arbeitsamt) fragen lässt: „Was
macht man denn als Germanist?“
Auf die
Frage, was man denn gerade so mache, zu antworten „Ich lebe.“
klingt traurig und sarkastisch. Aber irgendwie ist es doch die
Wahrheit. Ich lebe. Du lebst. Es gibt Zeiten, in denen ist das das
Einzige, was zählt. Ich liebe mein Leben. Und dass ich leben darf,
mit den Menschen an meiner Seite und den Aufgaben, die mir das Leben
stellt, ist für mich ein Geschenk. Und was die Zukunft bringt, weiß
ich nicht, aber weiß mein Schöpfer, und auch das ist eigentlich das
Einzige, was zählt. Mein Leben, so wie es gerade ist, ist für mich
ein Segen, ganz egal was ich eigentlich gerade so mache.
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