Unvergessen.
Sie saßen an einem alten Hoztisch, die
leergegessenen Teller waren zur Mitte geschoben und die Weingläser
an ihren Platz gesetzt. Sie unterhielten sich über große Personen
des öffentlichen Lebens. Bekannt, beliebt, geschätzt. Sie
sinnierten gerade über die Taten eines solchen Menschen, als sie
sagte: „Stell dir vor wie es wäre, wenn einer von denen morgen
sterben würde!“ „Ja, und?“, erwiederte ihr Gegenüber. „Dann
sind sie halt tot.“ Er erhob sein Glas, wie zum Anstoßen und nahm
dann einen Schluck des billigen Weines, den sie tranken. „Ist das
dein Ernst? Wäre es nicht komisch, wenn sie plötzlich weg wären?“
Sie sah ihn fragend an. Sein Gesichtsausdruck blieb gleichgültig.
„Menschen werden geboren, sterben und werden vergessen. An all das,
was sie heute Tun, wird sich in zwanzig Jahren niemand mehr erinnern,
geschweige denn an ihre Namen.“ Erschüttert von dieser
Trockenheit, nippte sie an ihrem Weinglas. „Bist du da nicht etwas
zu pessimistisch? Es gibt doch immer wieder herausragende
Persönlichkeiten in der Weltgeschichte. Woher willst du wissen, dass
sie alle vergessen werden?“ Er sah sie belustigt an. „Die
Menschen, an die wir uns heute noch erinnern, und meistens kennen wir
dann auch nur den Namen und einen kleinen Ausschnitt ihres Lebens,
sind nur ein winziger Bruchteil der Menschheit, die vor uns über
diesen Planten gewandert sind. Niemand erinnert sich an all die
namenlosen Menschen mit ihren unspektakulären Leben.“ Und wieder
erhob er sein Glas, als wolle er eben diesen Millionen vergessenen
Persönlichkeiten zuprosten. Sie drehte ihr Weinglas langsam und
nachdenklich in ihren Händen. „Du meinst also, wenn ich morgen
sterben sollte, wird sich niemand an mich erinnern können?“ Er
lachte leise: „Und auch mich wird jeder vergessen haben in zwanzig
Jahren.“ Sie blieb ernst und beobachtete ihn eine Weile lang. Dann
sagte sie, mehr zu sich und ihrem Weinglas: „Ich möchte nicht
vergessen werden.“ Wieder lachte er: „Du willst es also ins
Guinnesbuch der Rekorde schaffen, einen Oscar gewinnen, weltberühmt
werden und später in jedem Geschichtsbuch verzeichnet sein?“
„Nein“, sagte sie ruhig. „Ich will nur nicht vergessen werden.“
Und als er sie fragend ansah, erklärte sie: „Ich muss nicht
weltberühmt werden. Ich muss auch nichts gewinnen. Ich will einfach
nur so leben, dass sich die Menschen, denen ich begegne, an mich
erinnern. Im Positiven. Ich will, dass sie sich in Freude an mich
erinnern, lachen und weinen vor Erinnerung, erzählen und ein
bisschen von dem Weitergeben, was mir wichtig ist. Das reicht mir.
Aber das will ich. Ich will nicht vergessen werden.“
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