08 - Geschichte
Für keinen Buchstaben habe ich so viele Begriffe gefunden wie für "G": gefühlvoll, Geschmack, Geschenke, Gott, gemütlich, Geburtstag, Glühwein, Grippe... Und doch habe ich mich für "Geschichte" entschieden. Zum einen weil ich gestern spontan eine Geschichte geschrieben habe, zum anderen, weil Geschichten auch einfach zur Adventszeit dazugehört. Man liest sie sich gegenseitig vor oder versinkt in ihnen an dunklen Tagen. Ich wünsche viel Freude beim Lesen. Danke, Maike, fürs inspirieren.
Schneeflockentanz.
Sein Weg durch die dunkle
und verschneite Nacht war mühsam. Die weiße Decke, die seinen Weg
bedeckte, erschwerte jeden seiner Schritte, klammerte sich an seine
Füße und Hosenbeine und der Wind bließ ihm beißend und eisig in
die Kleidung, die ihn nicht zu wärmen vermochte. Den Blick auf den
Boden gerichtet stapfte er Zentimeter für Zentimeter vorwärts.
Seine Finger in den Manteltaschen zu Fäusten geballt, um ein kleines
bisschen der Wärme, nach der er sich sehnte, festzuhalten. Der
Schnee stürmte um ihn herum und sein Ziel, dessen er sich nicht mehr
sicher war, war nicht in Aussicht. Erschöpft blieb er stehen und
blickte auf in die Millionen Schneeflocken, die um ihn herum wehten
und ihren Weg auf die Erde suchte. Er konnte sich nicht an diesem
Naturschauspiel erfreuen, zu wenig Wärme war in seinem Körper und
in seinem Herzen. Zu viel hatte er an den letzten Tagen sehen müssen.
Menschliches Leid, Verzweiflung, Streit und Unverständnis. Sein Herz
fühlte sich so schwer an, dass er sich nur mit viel Mühe aufrecht
halten konnte. Was würde passieren, wenn er der Schwere nachgeben,
in den Schnee sinken und liegen bleiben würde? Er würde erfrieren.
Sterben. Unter Schneeflocken begraben.
Der Wind wurde stärker
und die Flocken wirbelten um ihn herum. Und auf einmal hörte er eine
leise Stimme. Sie klang wie der Wind, nur viel höher und sie schien
aus vielen leisen Stimmen zu einer zusammen zu wachsen. „Komm, tanz
mit uns!“ Er sah sich um. Niemand war ihm gefolgt. Um ihn herum
herrschte die dunkle Dezembernacht, erhellt von weißer Schneepracht.
Er sah zurück in den Himmel. Und wieder hörte er es: „Komm, tanz
mit uns!“ Er warf noch einmal einen Blick um sich herum, aber
konnte niemanden erkennen. Er fasst Mut und rief in den Himmel: „Aber
ich kann nicht tanzen!“ Die Antwort war ein leises Lachen: „Jeder
kann tanzen!“ Und es schien ihm, als wirbelten die Schneeflocken
immer wilder um ihn herum. „Aber mein Herz ist so schwer.“, sagte
er leise und sein Blick wurde traurig mit diesen Worten. Die Flocken
wurden langsamer, umschwebten ihn sacht und manche legten sich auf
seinem Mantel nieder. „Es wird leichter werden, wenn du tanzt.“,
säuselte es in seine kalten Ohren. „Fang langsam an. Du wirst es
merken.“ Und mit einer Windböe wirbelten die Schneeflocken wieder
etwas schneller um ihn herum. Er bewegte einen Fuß nach vorn und
dann wieder zurück, wiederholte es mit dem anderen. „Tanz mit
uns!“, forderte man ihn auf. Er blickte in den Himmel, streckte
seine Arme weit aus und begann sich zu drehen. Die kleinen
Schneekristalle umschlossen ihn, drehten sich um ihn, wirbelten auf
und ab. Er schloss die Augen und leise, ganz leise hörte er einen
feinen Gesang. Es schien, als summten die Schneeflocken ein Lied,
während sie die Welt zudeckten. Er wiegte sich in ihrem Rhythmus,
mal schneller, mal langsamer und vergaß sein Zeitgefühl. Und als
die Schneeflocken alle den Boden erreicht hatten und keine mehr
nachkamen, blieb er stehen. Sein Herz fühlte sich leichter an.
Schweigend betrachte er nun die stille und atemberaubende
Schneelandschaft, die ihn umgab. Leise, so leise wie der Gesang der
Schneeflocken, flüsterte er: „Danke.“
Kommentare
das ist eine sehr schöne Geschichte!
Ich wünsche dir einen schönen 2. Advent, viele Grüße
Regina