Fast perfekt. Teil 2.

Den ersten Teil der Fortsetzungsgeschichte kannst du hier lesen.

„Wie lange fährt man?“, fragte er und schaute mich kurz an, um sich dann wieder seinen Turnschuhen zuzuwenden, die Furchen in den grauen Kies auf dem Weg zogen. „Mit dem Auto vier Stunden.“ Er lachte kurz und bitter und dieses Lachen tat mehr weh, als jeder Spruch es hätte tun können. „Und es gibt keine Chance, dass sie dich hier doch noch nehmen?“ - „Nicht in diesem Leben.“, antwortete ich, doch der Witz ging auf halber Strecke verloren und erreichte ihn nicht. „Und jetzt?“, fragte er seine Turnschuhe. Ich seufzte. Ich hatte gehofft, er würde mehr dazu sagen oder was anderes. „Keine Ahnung.“, sagte ich. „Nächste Woche Montag will Papa mit mir hinfahren und alles angucken und vielleicht auch schon ein paar Sachen mitnehmen. Die sind halt echt früh dran mit den Vorkursen. Aber die sind ja auch wichtig.“ Ich wusste, dass ich ihn mit Vernunft nicht trösten konnte. Wenn er überhaupt Trost brauchte, er sah einfach nur fassungslos aus.
Für das Zelten und die Sommerkinder blieb keine Zeit mehr, das war uns beiden klar. „Ich dachte, ich mach vielleicht 'ne Party am Freitag.“ - „Abschiedsparty?“ - „Ich weiß nicht. Irgendwie sowas. Ist halt jetzt alles anders.“

Er nickte und sah mich an. Direkt in die Augen und ohne die Absicht, sofort wieder wegzublicken. Es fühlte sich komisch an. Irgendwie ungewohnt und gleichzeitig vertraut. Mit seinem Blick wurde mir plötzlich klar, was ich alles zurücklassen würde. Tränen stiegen in meine Augen und ich hasste sie in diesem Augenblick. Ich wollte keine getrübte Sicht. Ich wollte alles ganz klar sehen: Meine Zukunft. Meine Pläne. Unsere Pläne. Ihn.
Er legte seinen Arm um mich und ich lies den Kopf auf seine Schulter sinken. Wir taten so etwas nicht oft. Eigentlich nur, wenn wir beide gut angetrunken und melancholisch waren. Angetrunken waren wir zwar in letzter Zeit oft gewesen, aber nie melancholisch.
Meine Tränen durchnässten sein T-Shirt an der Schulter und es war mir unangenehm, aber gleichzeitig tat es so gut in dieser Situation nah bei ihm zu sein und nicht alles nur mit gutgemeinten Sprüchen abzuhandeln.

Ich dachte darüber nach, was ihn dazu bewegt hatte, die körperliche Distanz, die sonst immer zwischen uns war, zu durchbrechen. Wir hatten uns schon immer gekabbelt, geboxt und uns gegenseitig die Haare verwuschelt. Aber eine gewisse Distanz war immer da gewesen und sie war auch natürlich, nicht erzwungen oder beabsichtigt. Aber diese Nähe jetzt war erzwungen. Oder beabsichtigt.
Und dann kam mir ein Gedanke, der mich trotz der warmen Sommerluft erschaudern ließ. Auf einmal war mir klar, warum es diese Nähe gab, warum ich weinte, warum es kein anderes Wort außer „Scheiße“ gab, dass auf all das passte.
Wir mussten uns entscheiden. Genau jetzt in diesem Moment. Seit drei Jahren waren wir befreundet, seit drei Jahren verbrachten wir total viel Zeit zusammen. Seit drei Jahren lebten wir einfach nebeneinander her und waren zufrieden damit. Und die Zukunft hätte so bleiben sollen. Locker und unverbindlich. Doch wenn ich jetzt wegziehen würde, dann müssten wir und entscheiden, wie unsere Freundschaft dazu steht. Dann mussten wir entscheiden, wie wir zueinander stehen. Wenn ich weg wäre, gäbe es keine Unverbindlichkeit mehr. Dann gäbe es nur noch ja oder nein. Leben oder Tod.

Alles, worüber wie in den letzten drei Jahren nie nachgedacht hatten, stand jetzt ganz klar vor uns. Und der Umstand, dass ich in seinem Arm lag, zeigte unser beider Entscheidung. Und ich wusste, dass es die falsche, schmerzhafte und aussichtslose Entscheidung war.

„Ich komm dich mindestens einmal im Monat besuchen.“, sagte er leise und lehnte seinen Kopf gegen meinen. „Das wirst du nicht.“, sagte ich genauso leise, auch wenn sich mein Herz etwas anders wünschte.

Danke fürs Lesen!

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Ich mag keine traurigen, hoffnungslosen Enden... *schnief*
schwalbe hat gesagt…
Bitte noch einen Teil 3!

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